Entwicklung eine Karotte, viele Esel?

dissoziative/autozentrierte Entwicklung: Ausscheren aus dem Weltmarkt von der nationalstaatlichen zur Analyse des gesamten kapitalistischen Weltsystem...

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Entwicklung – eine Karotte, viele Esel? Zum Begriff Entwicklung: • Überwindung der Kluft zwischen extremer Armut und Reichtum unter kapitalistischen Bedingungen • bestehende Macht-, Herrschafts- und Besitzverhältnisse nicht thematisiert Entwicklungspolitik: • Trumans Antrittsrede (1949) • Gegenkonzept zur nachholenden Industrialisierung des Kommunismus Der Weg zur Entwicklung: Kopieren und Aufholen • • • – –

mit dem Demokratiemodell Entwicklung = Wirtschaftswachstum = staatlich initiierte Industrialisierung 2 vorgeschlagene Wege zur Industrialisierung: big push in bestimmte Industriezweige (unbalanced growth) → spätere Stimulierung anderer balanced growth in möglichst viele Sektoren

Rolle des Staates: bisher einziger Garant für ökonomisches Wachstum bei gleichzeitiger Umverteilung Bedeutungsverlust der EZA am Ende des Kalten Krieges: Schuldenkrise der 1980 Jahre: Eindämmen der Emanzipationsbestrebungen Die globale Hierarchie: Zahlen und Fakten Subsahara-Afrika: im Vergleich zum Norden BIP und Lebenserwartung gesunken in absoluten Zahlen Indikatoren (Lebenserwartung, Einkommen, Alphabetentum) gestiegen dabei zu berücksichtigen sind: – wachsende Weltbevölkerung – in Bezug auf Einkommen und Kaufkraft: höhere Nachfrage nach Geld durch die Verdrängung der Subsistenzwirtschaft – extreme Armut steigend! (ausgenommen China) – Fortschritte in Bildung und Lebenserwartung ungleiche Verteilung in Bezug auf durchschnittlicher Einkommensanstieg: – Südasien und Afrika gesunken – Lateinamerika und Ostasien gestiegen Einkommensanstieg ≠ Überwindung der Kluft Differenz der Lebenserwartung zwischen Nord und Süd: 1970: 16 Jahre 1995: 13 Jahre Wahrscheinlichkeit der Kindersterblichkeit in Süd im Vergleich zu Nord: 1970: 4x höher 2001: 12x höher

BSP/Kopf im Verhältnis zur ersten Welt gesunken (ausgenommen Ostasien) Entwicklung ≠ Wirtschaftswachstum ≠ Industrialisierung Anteil der Industrie am BIP in Länder mit niedrigem /mittlerem Einkommen höher als in Länder mit hohem Einkommen → Industrialisierung in Asien und Lateinamerika aufgeholt – Kluft ist jedoch erhalten geblieben Primärgütersektor dominiert immer noch den Exporthandel Lateinamerikas (ausgenommen in Mexiko und Costa Rica) → stabile Macht- und Wohlstandshierarchie; Kopieren der Industrialisierung nicht erfolgreich als Entwicklungsweg Entwicklungsrelevante Indikatoren? Theoretische Konzepte notwendig, um strukturelle Ursachen und Prozesse von Entwicklung zu verstehen

Entwicklung und Unterentwicklung: Begriffsbestimmungen Entwicklung: – Zivilisierung: eurozentrische Perspektive, Übertragung von Lebensformen – kein 'unilinearer' Prozess: unterschiedliche Wege – UNDP: Ausweitung von Chancen, Leben mit Würde und Freiheit Mittel zur Entwicklung: Wirtschaftswachstum, Handel, technischer Fortschritt – „magisches Fünfeck“: 1 Wirtschaftswachstum 2 Arbeit 3 Gleichberechtigung 4 Partizipation/Demokratie 5 Unabhängigkeit/Eigenständigkeit Unterentwicklung ≠ Armut nach magischem Fünfeck und UNDP: niedrige Lebenserwartung, geringer Zugang zu Bildung, Ungleichheit entlang der Trennlinien „Rasse“, Klasse und Geschlecht Dritte Welt: – Alfred Sauvy 1952: in Anspielung auf den Dritten Stand („tiers état“) der vorrevolutionären französischen Gesellschaft – dritter Weg zwischen Ost und West: Treffen in Bandung 1955 (Blockfreie Staaten), dann in Belgrad 1961 und Genf (Gründung der Gruppe der 77). – nach Fanon die „Verdammten dieser Erde“

Wider der Tyrannei des Bruttosozialprodukts Datenerhebung/-auswertung → eine Machtfrage? Weltbank definiert Entwicklung anhand des BSP/Kopf und nicht anhand der Einkommensungleichheit UNDP: HDI, HPI, GDI HDI: Lebenserwartung, Bildungsgrad, Lebensstandard (Einkommen in realer Kaufkraft)

Bsp. Kuba:

BSP/Kopf HDI HPI

90. Rang 52. Rang 5. Rang

Theoriegeschichte ökonomische Klassik • Adam Smith, David Ricardo (18. Jhdt) Freiher Welthandel und komparative Kostenvorteile – für alle von Vorteil? → begünstigt in der Praxis die stärkeren Ökonomien • Friedrich List (19. Jhdt) Protektionismus beziehungsweise Schutzzölle – um übermächtige ausländische Konkurrenz abzuschirmen •

Keynesianismus in Europa und New Deal in USA (20. Jhdt)

• Walt W. Rostow: Idee des „take-off“, Entwicklungshilfe für Investitionen → Wachstumskreislauf

die Realität des „take-off“: Entwicklungshilfe ging in Konsum

• ISI Lateinamerika und Karibik: internationale Austauschrelationen (terms of trade) zu Ungunsten der Rohstoff produzierenden Länder → steigende Menge von Primärgüter für den Tausch einer konstanten Menge an Industriegüter notwendig Forderungen der CEPAL (unter Generalsekretär Raul Prebisch): Importsubstituierende Industrialisierung (ISI), „Neue Internationale Wirtschaftsordnung“, Stabilisierung der Rohstoffpreise

1960er Jahre: politische Krisen, Ölschock (1973/79), Verschuldung, Vietnamkrieg • Dependenztheorie: Einbeziehen des Kolonialismus, Internationale Arbeitsteilung, Auslandskapital Ansätze: externe/interne Entwicklungshindernisse? (CEPAL) dissoziative/autozentrierte Entwicklung: Ausscheren aus dem Weltmarkt von der nationalstaatlichen zur Analyse des gesamten kapitalistischen Weltsystems 1970er Jahre: Scheitern der nachholenden Industrialisierung und des „take-off“ „reformistische Antwort“ Armutsbekämpfung, Arbeitsbeschaffung, Aufmerksamkeit für ländlichen Sektor Grundbedürfnisstrategie („Strategie von unten“, „Antitheorie“): materielle (Nahrung, Wohnen) und immaterielle Bedürfnisse (Bildung, Gesundheit) 1980er Jahre: Verschuldung, endogene Ursachen für Unterentwicklung •

Neoliberalismus: hegemoniale ideologische Kraft

Integration in die Weltwirtschaft: Exportorientierung Liberalisierung und Deregulierung: Waren- und Kapitalverkehr Strukturanpassungsprogramme •

CEPAL: „systemische Wettbewerbsfähigkeit“

Aufbau politischer Institutionen für positive Rückwirkungen auf die ökonomische und soziale Entwicklung „good governance“ (Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, gute Regierungsführung) •

andere Ansätze:

„Humankapital“: Bildung und Gesundheit Besserstellung der Frau „sustainable development“: Grenzen des Wachstums „Ende der großen Theorie“ (Menzel 1992): Entwicklung → westlicher Fortschrittsmythos •

gegenwärtiges Gegengewicht zum Neoliberalismus:

1.) „links-keynesianische“ Strömung: mehr Spielraum für den Staates 2.) Reform der internationalen Institutionen: Ausgestaltung der global governance, Schaffung neuer multilateraler Institutionen, Selbstorganisation/Subsistenzwirtschaft • heute: theoretische Vielfalt gefragt: Überwindung von Einseitigkeiten (Modernisierung, Dependencia)

Warum sind die Armen arm geblieben? In letzten 500 Jahren ist der Anteil der Weltproduktion in Europa und USA von 18 auf 46% gestiegen in letzten 50 Jahren ist der Anteil der Weltproduktion in Europa und USA rückläufig – Vermögensbestand jedoch erhalten geblieben •

„Neue Internationale Arbeitsteilung“

– –

nachholende Industrialisierung durch Importsubstitution Verlagerung der arbeitsintensiven Produktion und Produktionsabschnitte (Anteil der Industrie am BIP in Länder mit niedrigem /mittlerem Einkommen höher als in Länder mit hohem Einkommen)

fortsetzende Dominanz der kapitalistischen Zentren aufgrund von 5 Monopolen: Technologie: Forschung, brain drain, Patentierung Kontrolle über globale Finanzinstitutionen Zugang zu natürlichen Ressourcen Medien und Kommunikationswissenschaft Massenvernichtungswaffen

Für eine systemkritische Entwicklungstheorie •

Widersprüche

Entwicklungsdefinition

neoliberale Globalisierung

wirtschaftliche Rechte: souveräne und unveräußerliche Recht, sein Wirtschaftssystem sowie sein politisches, soziales und kulturelles System … zu wählen (UN-Charta)

Strukturanpassungsprogramme

Wirtschaftswachstum in Verbindung mit Gleichheit und Gerechtigkeit

Bereicherung einer Minderheit

• Abkehr vom gegenwärtig dominanten wirtschafts- und gesellschaftspolitischen System Alternativen • Aufgabe der Entwicklungsforschung/-politik: praktische und theoretische Unterstützung der Arbeit