Kontrollverlust im Marketing – was müssen wir tun?

Kontrollverlust im Marketing – was müssen wir tun? CMO-KONFERENZ Bis Ende Jahr wird Facebook über 600 Millionen Nutzer aufweisen. Wäre Facebook...

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Kontrollverlust im Marketing – was müssen wir tun? CMO-KONFERENZ Bis Ende Jahr wird Facebook über 600 Millionen Nutzer aufweisen. Wäre Facebook ein Land, wäre es nach China und Indien das drittgrösste auf der Welt. Welche Konsequenzen hat diese Entwicklung für die Marketingstrategie und die Markenpolitik? Von Roland Bernhard und Tobias Ammann* Im Gleichschritt mit dem rasanten Aufkommen von sozialen Netzwerken wurde die Marketingdisziplin ohne Rücktrittsoption in die dritte Marketingära katapultiert – die Ära der «Networked Brand Leadership» (Markenführung in Netzwerken). Im Gegensatz zu früheren Äras, wie etwa der «Golden Age of Advertising», ist das Marketing heute mit multidimensionaler und interaktiver Kommunikation zwischen Marke, Kunden und vielen weiteren Anspruchsgruppen konfrontiert. Die auf Social Media basierende Marketingära ist höchst dynamisch und gezeichnet von einem komplexen Ökosystem von Stakeholdern.

Veränderung der Marketingära

nal, sondern mehr ein unkontrollierbares System, in dem eine Marke Vertrauen gewinnen Marketers müssen die grundle- muss. Um dies zu erreichen, gende Verhaltensänderung – wie müssen Marketers fähig sein, Kunden kommunizieren und am globalen Dialog teilzunehkonsumieren – in ihrem Marke- men. In diesem Netz von Kontakttingmix berücksichtigen. Es geht heute nicht mehr nur um den punkten und multiplen EinflussKonsum von Produkten, erwor- faktoren verliert das Marketing ben durch eine einfache Transak- zusehends die Kontrolle über die tion an einem bestimmten POS. «Message». Die Bedeutung einer Vielmehr geht es um die Mit- Marke wird heute nicht mehr gestaltung von erlebnisorientier- vom Marketingteam an einem ten Marken, durch Kunden und Reissbrett konstruiert, sondern andere Anspruchsgruppen. Für vielmehr in einer dynamischen, Marketingverantwortliche sind sich ständig verändernden UmSocial Media nicht einfach ein welt ausgehandelt. Das neue Ziel neuer Vertriebs- oder Werbeka- des Marketings muss deshalb sein, Kunden in ihrem Ökosystem zielgerichtet und positiv zu beeinflussen. Der Druck, der heute von ver Prophet schiedensten Stakeholdern ausgeht, ist enorm. Dies verdeutlichProphet ist ein globales Berate die Katastrophe am Golf von tungsunternehmen, das FühMexiko, welche BP noch heute rungspersonen hilft, Branding, in Atem hält. Marketing und Innovation effektiver einzusetzen, um profitables n Greenpeace hat in der britiWachstum zu generieren. Proschen Metropole London sämtphet berät zahlreiche internatiliche Tankstellen von BP belaonale Firmen wie Zurich Finangert, sodass an einem Tag alle cial Services, DKSH, Hyatt, SieVerkaufspunkte geschlossen wermens, Cartier, GE oder Syngenden mussten. ta. Website: www.prophet.com n Der mächtigste aller Politiker, Präsident Barack Obama, hat zu

In einem unkontrollierbaren System Vertrauen gewinnen

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MARKETING

änderungen verstanden und in Angriff genommen werden: 1. Marketers haben die Kontrolle über die «Message» verloren; es müssen Wege gefunden werden, wie Anspruchsgruppen positiv beeinflusst werden können. Dies bedeutet, dass sich das strategische Marketing noch stärker an einem ganzheitlichen Stakeholder-Management-Ansatz orientiert und sich dementsprechend gegenüber allen Anspruchsgruppen positioniert.

Beginn der Katastrophe klargemacht, dass BP für den angerichteten Schaden aufkommen muss. n Der Aktienmarkt hat ein Zeichen gesetzt; innerhalb von drei Monaten hat BP 50 Prozent an Marktwert verloren. n Kunden haben die Marke boykottiert und sich öffentlich distanziert. Beispielsweise wurden über 280 000 Personen Fans von der Seite «Stop the spill by stuffing BP executives into the leaking pipe» (Stoppt die Verschmutzung, stopft die BP-Manager in die undichten Rohre) und über 840 000 Personen wurden Fans der Facebook-Seite «Boycott BP» (Boykottiert BP). Auch wenn die BP-Katastro- phe glücklicherweise nicht den Marketingalltag beschreibt und es sich um einen Extremfall handelt, illustriert sie trotzdem pointiert, wie ein Unternehmen die Kontrolle über ihre Marke an die Stakeholder verliert.

Zentrale Implikationen für Marketingstrategie In der dritten Marketingära müssen Marketers ihre Denkweise ändern. Mit dem Ziel einer offenen, transparenten und authen- tischen Darstellung der Marke sollten die drei wichtigsten Ver-

2. In der «Network-Era» verliert die Push-Kommunikation auf herkömmlichen Kanälen an Bedeutung. Da der Peer-Group mehr Vertrauen geschenkt wird als Unternehmen, sollten Marketers einen aktiven «Pull-Approach» in ihrer Kommunikation verfolgen. Dies bedeutet, dass Stakeholder aktiv zur positiven Kommunikation stimuliert werden (beispielsweise in Form von Viralbeiträgen auf Youtube). 3. Zuletzt bedeutet die dritte Marketingära die definitive Abwendung von einfachen Transaktionen von Produkten. Kunden wollen die Bedeutung ihrer Lieblingsmarken mitgestalten. Vom Konsum bis zur Nutzung wollen sie ein emotionales und relevantes Erlebnis. Folglich müssen Marketers immer mehr al- le Touchpoints im Griff haben und über die ganze Erlebniskette eine kohärente Message generieren. n

* Tobias Ammann ist Berater in der Zürcher Niederlassung von Prophet. [email protected] * Roland Bernhard ist Partner und Leiter der Zürcher Niederlassung des globalen Markenstrategie-Beratungsunternehmens Prophet. [email protected]

Marketing & Kommunikation 12/10