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Das Reizdarmsyndrom: Mögliche Ursachen und ernährungstherapeutische Ansätze. Übersicht und kritische Betrachtung. Dr. Sabine Poschwatta-Rupp, Gießen. ...

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Das Reizdarmsyndrom: Mögliche Ursachen und ernährungstherapeutische Ansätze Übersicht und kritische Betrachtung Dr. Sabine Poschwatta-Rupp, Gießen

RRBilder: www.pixabay.de Definition und Epidemiologie Das Reizdarmsyndrom (RDS) ist eine funktionelle Darmerkrankung, die mit einer chronischen Symptomatik wie Bauchschmerzen, Diarrhoen, Obstipation und Meteorismus einhergeht – je nach Ausprägungsform kann eines der Symptome dominieren. Die Symptome treten auch kombiniert auf oder können wechseln. Das RDS ist häufig mit psychischen oder psychosomatischen Erkrankungen (zum Beispiel Depressionen, EssStörungen) assoziiert. Mit einer Prävalenz in Deutschland von schätzungsweise 12 Prozent [1], zitiert in [2] gehört das RDS zu den häufigsten gastroenterologischen Erkrankungen. Die gepoolte Prävalenz, ermittelt aus verschiedenen Studien unter Verwendung einer unterschiedlichen Anzahl an Bewertungskriterien, liegt international bei 10

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etwa sieben Prozent [3], wobei von einer erheblichen Dunkelziffer auszugehen ist. Frauen sind etwa doppelt so häufig betroffen wie Männer, dabei nehmen die geschlechtsspezifischen Unterschiede mit zunehmendem Alter des Patientenkollektivs ab.

Um das RDS von anderen gastroenterologischen Erkrankungen abzugrenzen, legt die S3-Leitlinie folgende Definition fest:

Da die eindeutige Zuordnung der Symptomatik oft schwierig ist, insbesondere bei milden oder wechselnden Symptomen, wird das RDS sehr häufig erst nach vielen Jahren diagnostiziert.

1) Es bestehen chronische (länger als drei Monate) Beschwerden (zum Beispiel Bauchschmerzen, Blähungen), die vom Arzt und Patienten auf den Darm bezogen werden und mit einer Änderung des Stuhlgangs einhergehen. 2) Die Beschwerden sollen begründen, dass der Patient deswegen Hilfe sucht und/oder sich sorgt, und so stark sein, dass die Lebensqualität hierdurch relevant beeinträchtigt wird. 3) Voraussetzung ist, dass keine für andere Krankheitsbilder charak-

Patienten mit einem RDS fühlen sich in ihrer Lebensqualität deutlich beeinträchtigt, oft sogar mehr als Patienten mit anderen chronischen Erkrankungen. Umso wichtiger ist eine frühzeitige Diagnose, die eine gezielte Therapie einleiten kann. Die individuelle Ernährungstherapie nimmt eine besonders wichtige Stellung ein.

Definition nach S3-Leitlinie 2011 (Quelle: S3-Leitlinie 2011 [3], Seite 242)

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teristischen Veränderungen vorliegen, welche wahrscheinlich für diese Veränderungen verantwortlich sind. Leitsymptome, Ausprägungsformen und Diagnostik Man unterscheidet die Ausprägungsformen anhand der dominierenden Symptome (Leitsymptome) Obstipation, Schmerzen, Diarrhoe und Blähungen/ Meteorismus, wobei die Beschwerdebilder oft wechseln oder in Kombination auftreten können. Zunächst gilt es, anhand der vorliegenden Symptomatik anamnestisch und differenzialdiagnostisch andere gastrointestinale, insbesondere maligne Krankheitsbilder auszuschließen. Die Leitlinie sieht neben der Basisdiagnostik für jedes Leitsymptom charakteristische Differenzialdiagnosen zum Ausschluss vor (zum Beispiel bei der Diarrhoe eine Infektion durch pathogene Keime oder Parasiten, chronisch entzündliche Darmerkrankungen oder Zöliakie). Beim Erwachsenen ist auf jeden Fall eine Koloskopie, je nach Symptomatik gegebenenfalls mit Stufenbiopsien leit-

linienkonform und empfehlenswert. Für Kinder liegen nicht genügend evidente Daten in diesem Zusammenhang vor, daher gelten für diese Zielgruppe weiterhin die Rom-III-Kriterien (siehe S3-Leitlinie 2011 [3], Seite 246).

bestimmter immunkompetenter Zellen werden Entzündungsreaktionen des unspezifischen und spezifischen Immunsystems provoziert. Proinflammatorische Cytokine werden freigesetzt, die Entzündungsreaktion wird verstärkt.

Pathophysiologie

Mit diesem Prozess ist ein erhöhtes Aufkommen an aktivierten T-Lymphocyten im Colonepithel zu erklären, das gerade bei Patienten mit postinfektiösem RDS beobachtet wird. Diese T-Zellen setzen unter anderem die Cytokine IL-6, IL-8, TNF-α und IL-1-ß frei. Einige dieser Botenstoffe fungieren als Chemokine und locken so weitere Entzündungszellen an.

Es gibt viele Ursachen, die eine Entwicklung des RDS fördern – oft liegt eine multifaktorielle Vorgeschichte vor. Es werden diverse molekulare und zelluläre Mechanismen diskutiert, die einzeln oder in Kombination auftreten können. Die Wahrscheinlichkeit, ein RDS zu entwickeln, steigt zusätzlich mit der entsprechenden genetischen Prädisposition. Ein Triggerfaktor für ein jahrelang persistierendes RDS kann ein zuvor erlittener gastrointestinaler Infekt sein. Die Entzündungsreaktion führt zu einer Störung der mucosalen Barrierefunktion im Sinne einer erhöhten Permeabilität der Colonschleimhaut. Diese als „Leaky Gut Syndrom“ bezeichnete Situation hat wiederum zur Folge, dass das MucosaImmunsystem vermehrt mit unkontrolliert eindringenden Antigenen konfrontiert wird. Durch die Antigenerkennung

Lokal können auch vermehrt Mastzellen auftreten, die bei Aktivierung verschiedene Mediatoren einschließlich diverser Proteasen und Histamin freisetzen. Letzteres induziert bei der glatten Muskulatur Kontraktionen, die sich als Bauchkrämpfe oder Stuhldrang äußern können. Die Proteasen, insbesondere Trypsin, führen zu einer beschleunigten Degradation des Tight Junction Proteins Occludin. Zudem kann die Synthese eines weiteren Tight Junction Proteins, des ZO-1 (Zonula occludens), vermindert sein. Diese Missstände erklären möglicherweise die

Vereinfachte Darstellung der immunologischen Reaktion bei einer erhöhten Schleimhautpermeabilität

Gesunde Immunbarriere

Eingedrungene Antigene z. B. Krankheitserreger, werden u. a. von dendritischen Zellen (gelb) erkannt und gebunden.

Gestörte Immunbarriere

Die dendritischen Zellen transportieren die Antigene zu den Zellen des spezifischen Immunsystems und präsentieren sie ihnen auf der Zelloberfläche.

T-Zellen (grün) werden aktiviert, vermehren sich und setzen proinflammatorische Cytokine frei; B-Zellen (blau) reifen zu Plasmazellen und sezernieren Antikörper.

RRAbbildung 1 fasst die immunologische Situation zusammen 153 І 2016 VFEDaktuell

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erhöhte Mucosa-Permeabilität bei RDS, auch lange nach einer Erregerkonfrontation. Die erhöhte Schleimhautpermeabilität wiederum ist mit einer visceralen Hypersensitivität assoziiert. Offensichtlich sind das veränderte Mediatorprofil und eine erhöhte Proteasenkonzentration mit einer Aktivierung des Enteritischen Nervensystems (ENS, siehe unten) und der nozizeptiven Nerven assoziiert. Eine erhöhte Dichte sensorischer Nervenfasern in der Rektumschleimhaut von RDSPatienten spricht ebenfalls für eine vermehrte Schmerzempfindung auf diverse Reize. Interessant ist auch die Tatsache eines vermehrten Vorkommens Substanz P-haltiger Nervenfasern in der Colonmucosa von RDS-Patienten. Das Neuropeptid hat nicht nur eine hohe Bedeutung als Mediator in der Schmerzübertragung, sondern wird auch im Zusammenhang mit der Ätiopathogenese einiger psychischer Erkrankungen gesehen, unter anderem Angststörungen und Depressionen. Möglicherweise liegt hier eine Erklärung für diese Begleitphänomene bei vielen RDS-Betroffenen. Eine gesteigerte spinale Weiterleitung visceraler Reize trägt zusätzlich zu einer intensiveren Schmerzempfindung bei. Bei RDSPatienten werden dann größere Hirnareale aktiviert als bei gesunden Kontrollen. Warum akuter und chronischer Stress einen potenten Triggerfaktor für die Entstehung beziehungsweise Verstärkung oder Aufrechterhaltung eines RDS darstellt, wird im Folgenden dargestellt. Eine besondere Relevanz kommt dem intestinalen Mikrobiom zu, welches bei RDS sowie chronischen Stresszuständen qualitativ und quantitativ verändert ist. Die Darm-Hirn-Achse Das ENS, das größte neuronale Netzwerk außerhalb des zentralen Nervensystems, wird auch „Bauchhirn“ oder „kleines enteritisches Hirn“ genannt. Es verfügt analog dem übrigen Nervensystem über etwa 100 bis 150 Millionen Nervenzellen, möglicherweise sogar bis zu 600 Millionen [4]. Die sensorischen Neuronen erkennen durch ihre Rezeptoren Wärme, Kälte, Druck oder Schmerz beziehungsweise Funktionszustände des Gastrointestinaltraktes, leiten die Signale über die „Schaltstellen“, die Interneuronen, 12

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RRAbbildung 2: Reizübertragung im ENS weiter an die Motoneuronen, die unter anderem im Sinne einer Aktivierung oder Hemmung auf die glatte Muskulatur wirken (siehe Abbildung 2). Ebenso können Signale an die exkretorischen oder resorptiven Epithelien, immunkompetenten und endokrinen Zellen sowie Blutgefäße übermittelt werden. Botenstoffe dienen dem ENS der Informationsübermittlung. Die Gliazellen üben Nähr- und Stützfunktionen aus. Aufgaben des Enteritischen Nervensystems • Steuerung der gastrointestinalen Motilität à gerichteter Transport des Darminhaltes. • Regulation der Resorption von Nährstoffen, Elektrolyten und Wasser. • Beteiligung an neuroendokrinen, neuroimmunologischen sowie neurosekretorischen Prozessen. Die Informationswege zwischen dem ENS und dem Zentralnervensystem (ZNS) sind bidirektional. Etwa 90 Prozent der Signale werden vom Darm zum Gehirn und lediglich zehn Prozent vom Gehirn zum Darm übermittelt. Ihre Vermittlung erfolgt über die nervalen Verbindungen, aber auch durch Botenstoffe wie Neuropeptide, Cytokine und Hormone. Zudem übernehmen die Bakterien des intestinalen Mikrobioms regulatorische Aufgaben [5]. Heute schätzt man etwa 1000 verschiedene Bakterienspezies beziehungsweise 7000 Stämme im menschlichen Verdauungstrakt. Die Anzahl der Bakterienzellen beträgt vermutlich das Zehnfache der

Zahl eigener Körperzellen [6]. Die Mikroorganismen tragen aktiv zur Entwicklung von Toleranzmechanismen des Immunsystems bei [7]. Ist die Kommunikation zwischen den Mikroben und dem Wirt gestört, steigt die Wahrscheinlichkeit, Autoimmunreaktionen zu entwickeln (zum Beispiel chronisch entzündliche Darmerkrankungen, Rheumatoide Arthritis, Diabetes Typ 1). Latente Viruserkrankungen (zum Beispiel Gürtelrose, Herpes, EBV) werden unter Stressbedingungen reaktiviert [8], zitiert in [5]. Stress: Auswirkungen auf den Gastrointestinaltrakt Mentale und körperliche Belastungen beeinflussen sowohl die Immun- als auch Verdauungsfunktionen. Insbesondere bei Hochleistungssportlern und beruflich sehr belasteten Menschen ist gerade nach Belastungssituationen eine erhöhte Infektanfälligkeit zu beobachten. Folgende Prozesse finden in diesen Fällen statt: Stress wird als Zustand der Alarmbereitschaft des Organismus verstanden, der sich auf eine erhöhte Leistungsbereitschaft einstellt. Man differenziert zwischen Eustress, der einen motivierenden, aktivierenden Effekt ausübt, und Distress, einer belastenden, schädlich wirkenden Reaktion auf ein Übermaß an Anforderungen. Initial werden durch den Stressimpuls die Katecholamine Adrenalin, Noradrenalin und Dopamin freigesetzt. Während Dopamin diverse stimulierende Eigenschaften hat, bewirkt Adrenalin einen Anstieg der Pulsfrequenz, des Blutdrucks sowie des Herzminutenvolumens und hemmt zusätzlich die zellulä-

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RRAbbildung 3: Einfluss des Darms auf die psychische Gesundheit bei Stressbelastung (in Anlehnung an Cryan & Dinan, 2012 Mit freundlicher Genehmigung der nutrimmun GmbH

re Immunantwort. Noradrenalin fördert gleichzeitig Motivation und Motorik und fungiert ansonsten als Synergist des Adrenalins. Diese Prozesse dienen der Mobilisation schnell verfügbarer Energie und stellen die Reaktionsbereitschaft sicher. Schließlich stimuliert Noradrenalin die Ausschüttung des Corticotropin-Releasing-Hormons (CRH, syn: CRF = Corticoreleasing Factor) im Hypothalamus, das eine zügige Sekretion des Stresshormons Cortisol aus der Nebennierenrinde veranlasst. Man spricht dann von der verzögerten, endokrinen Antwort. Cortisol sorgt nicht nur für eine schnelle Energiebereitstellung über die Freisetzung von Glukose und Triglyceriden, sondern hemmt wie Adrenalin und Noradrenalin die zelluläre Immunantwort. Etwa ein bis zwei Stunden nach einer intensiven Belastung nehmen Konzentrationen der TLymphocyten und ihrer Subpopulationen wie die CD4- und CD8-Zellen ab. Auch die Zahl und Aktivität der natürlichen Killerzellen gehen zurück. Im Verdauungstrakt sind ebenfalls CRFRezeptoren vorhanden. Hier bewirkt CRF

über eine Mastzelldegranulation die Sekretion proinflammatorischer Cytokine (IL-1, IL-6, TNF-α, IFN-γ). Diese wiederum stimulieren zum Teil die Aktivität polymorphkerniger Leukocyten und können auf diese Weise akute Entzündungen hervorrufen. Die intestinale Permeabilität steigt – es penetrieren mehr Antigene und Mikroben in die Lamina propria. Diese Kaskade ist ein möglicher Erklärungsansatz für die stressbedingte Triggerung beziehungsweise Aufrechterhaltung einer RDS-Symptomatik. Ein weiterer Aspekt ist die Wirkung des Cytokins IFN-γ. Es fördert die Umsetzung von Tryptophan in die aromatische Aminosäure Kynurenin. Für diesen Prozess werden circa 95 Prozent des Tryptophans verbraucht, das so nicht mehr der Synthese von Serotonin beziehungsweise des Melatonins zur Verfügung steht. Ein Serotoninmangel kann an depressive Verstimmung und Angstneigung sowie Heißhunger gekoppelt sein. Insbesondere depressive Stimmungslagen werden bei RDS-Patienten immer wieder beobachtet. Ein Melatoninmangel beeinträchtigt den Schlafrhythmus.

Ernährungstherapie: Allgemeine Aspekte Die therapeutische Strategie richtet sich jeweils nach dem Leitsymptom beziehungsweise den Leitsymptomen und den individuellen Triggerfaktoren des Patienten. Neben allgemeinen, psychotherapeutischen und medikamentösen Maßnahmen stehen ernährungstherapeutische Strategien zur Verfügung. Im Rahmen dieser Übersicht sollen ausschließlich die ernährungstherapeutischen Konzepte betrachtet werden. Grundsätzlich sei hier betont, dass weder eine einheitliche Ernährungsempfehlung für alle RDS-Patienten noch eine ernährungsbezogene Empfehlung zur Prävention existiert. Das Konzept orientiert sich immer an der individuellen Symptomatik. Oft sind bereits einige allgemeine Aspekte (zum Beispiel Elemente der Leichten Vollkost) oder individuelle Eliminationsdiäten bei subjektiven Unverträglichkeiten erfolgreich. Interessant ist auch die Feststellung, dass nach einer professionellen Aufklärung oder Beratung bereits eine 153 І 2016 VFEDaktuell

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Besserung der abdominellen Symptomatik eintritt. Allein die Beratungssituation, verbunden mit einer gewissen Geborgenheit des Patienten und der Fürsorge durch den Therapeuten kann insbesondere beim Diarrhoe-Typ lindernd wirken. Auf jeden Fall ist zunächst eine diagnostische und anamnestische Abklärung von Kohlenhydrat-Malassimilationssyndromen zu empfehlen. Bei einem Nachweis sollten die betreffenden Kohlenhydrate etwa zwei Wochen probatorisch stark reduziert werden (Eliminationsphase). Bei einem deutlichen Beschwerderückgang kann nachfolgend unter fachkundiger Betreuung die individuelle Toleranzschwelle ermittelt werden, mit dem Ziel, eine ausgewogene Dauerkost zu erreichen. Da in der Bevölkerung relativ viel Fruktose verzehrt wird, ist die vergleichsweise hohe Prävalenz fruktoseassoziierter abdomineller Beschwerden nachvollziehbar: Bei mehr als 50 Prozent der Bevölkerung treten nach dem Verzehr von 25 Gramm Fruktose am Tag Symptome auf. 80 Prozent können Fruktose bei einer Tagesdosis von 50 Gramm und mehr nicht beschwerdefrei verwerten. Fruktose wird generell langsamer als Glukose über einen Natrium-unabhängigen Prozess resorbiert. Ähnlich verhält es sich mit Zuckeralkoholen (Polyolen). Die durchschnittliche tägliche Polyolaufnahme liegt bei zwei bis drei Gramm, bei Verzehr „zuckerfreier“ Bonbons und anderer Lebensmittel mit Zuckeraustauschstoffen erheblich höher. Schon fünf Gramm Sorbit kann bei darmempfindlichen Patienten zu einer symptomatischen Malabsorption führen. Generell ist es ratsam, im Rahmen der Differenzialdiagnostik jegliche Nahrungsmittelunverträglichkeiten einschließlich Zöliakie auszuschließen. Gegebenenfalls können verdächtigte Lebensmittel probatorisch für eine begrenzte Zeit unter Protokollführung eliminiert werden. Zur Dokumentation eignet sich ein Ernährungs- und Symptomtagebuch zur Identifikation der unverträglichen Speisen und Zubereitungsformen. Obligat sind bei allen Eliminationsdiäten Verlaufskontrollen (beispielsweise Ernährungsanalysen) zur Vermeidung einer Mangelernährung. Zu einer dauerhaften Fortführung wird nur bei Ansprechen auf die Therapie geraten [9]. 14

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Es kommt immer wieder vor, dass Patienten mit vorliegenden IgG- oder IgG4Befunden in der Praxis erscheinen. Das vermehrte Auftreten von spezifischen IgG-Antikörpern einschließlich Subtyp  4 repräsentiert zwar keine allergische Reaktion oder Sensibilisierung, liefert jedoch einen Hinweis auf ein „Leaky Gut Syndrom“ (erhöhte Mucosa-Permeabilität) mit einer möglichen Entzündungssituation, wie oben beschrieben. In einigen Fällen wirkt eine probatorische Elimination der positiv getesteten Lebensmittel über einige Wochen zunächst lindernd. Eine dauerhafte Eliminationsdiät ist daraus nicht abzuleiten. Ebenso kann keine generelle Empfehlung für diese Tests ausgesprochen werden. Ernährungstherapeutische Optionen nach S3-Leitlinie In Abhängigkeit von den Leitsymptomen und den individuellen Ursachen sowie Triggerfaktoren können folgende Strategien therapeutisch wirksam sein: • Ballaststoffe beziehungsweise Präbiotika • FODMAP-arme Kost (FODMAP = Fermentable oligosaccharids, disaccharids, monosaccharids and polyols) • Phytotherapeutika • Probiotika Ballaststoffe und Präbiotika Als Ballaststoffe werden unverdauliche Kohlenhydrate bezeichnet, die durch die Enzyme des menschlichen Verdauungstraktes nicht abgebaut werden. Dazu gehören folgende Stoffgruppen ([10]nach EFSA, 2010): • Nicht-Stärke Polysaccharide (NSP): Cellulose, Hemicellulosen, Pektine, Hydrocolloide (zum Beispiel Gummis, Schleime, β-Glucane); • Resistente Oligosaccharide: FruktoOligosaccharide (FOS), Galacto-Oligosaccharide (GOS), andere verdauungsresistente Oligosaccharide; • Resistente Stärke: Stärke, die in intakten Zellverbänden eingeschlossen ist; retrogradierte Amylose, chemisch und/oder physikalisch modifizierte Stärke; • Lignin, das an die Polysaccharide gebunden ist.

In der Therapie des RDS bewähren sich Ballaststoffe vorwiegend in löslicher Form, zum Beispiel Flohsamenschalen, sowohl beim Obstipations- als auch beim Diarrhoe- und Schmerztyp [11]. Besonders geeignet sind Ballaststoffpräparate als ergänzende Therapie für RDSPatienten mit Obstipation, die wenige Ballaststoffe verzehren. Bei einem durchschnittlichen Ballaststoffverzehr in Europa zwischen elf und 33 Gramm je Tag – einschließlich resistenter Stärken – muss bei vielen Patienten davon ausgegangen werden, dass sie von einer Ergänzung durch isolierte Ballaststoffe profitieren. Der Ballaststoffgehalt sollte immer individuell angepasst werden. Eine zusätzliche Probiotika-Gabe kann die Wirksamkeit verbessern. Der therapeutische Effekt von Vollkornprodukten oder Weizenkleie ist auf die Stuhlfrequenz begrenzt. Da generell eine Korrelation zwischen der Ballaststoffaufnahme und der Flatushäufigkeit besteht, sollte der Ballaststoffgehalt der Kost behutsam und schrittweise eingeführt und gesteigert werden. Im Gegensatz zu Guar und Leinsamen liegen hinsichtlich Flohsamenschalen gut untersuchte Wirkungsnachweise vor. Die kleinen braunen Samen einer WegerichArt erinnern an Flöhe und haben daher ihren Namen erhalten. Therapeutisch wirksam ist deren Epidermis, das heißt die äußere Schale. Die ölhaltigen Samen sind reich an Schleimstoffen (bis zu 30 Prozent), hauptsächlich basierend auf Galactose und Rhamnose. Wirkungen der Flohsamenschalen: • Quellung durch Wasserbindung • Stuhl wird weicher, voluminöser • Verlängerung der Passagezeit bei Diarrhoe • Verkürzung der Magen-Darm-Passage bei Obstipation • Erleichterung der Ausscheidung • Laxierende Wirkung durch Fettbestandteile der Samen • Bindung von Gallensäuren im Darm führt zur Senkung des Cholesterinspiegels. Zusätzlich bieten Flohsamenschalen der Mikrobiota im Darm Substrat, dass deren Wachstum und Vermehrung ebenfalls gefördert wird. Geschrotete Samen oder reine Samenschalen regen die Darmtätigkeit intensiver an als die ganzen Samen,

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RRBild: Flohsamenschalen, Fotolia.de © dima_pics da sie eine vergrößerte Oberfläche bieten. Sehr gut geeignet und verträglich sind auch Kombinationspräparate aus Flohsamenschalen und Baobab, einem weiteren, präbiotisch wirksamen Ballaststoff. Empfohlene Anwendungsweise: Mit kleinen Mengen beginnen und die Dosis über mehrere Wochen langsam steigern. Die maximale tägliche Dosis liegt bei 30 Gramm, inklusive Nahrungsfasern. Dies ist ermittelbar zum Beispiel über eine Ernährungsanalyse. Flohsamenschalen sollen vor dem Verzehr einige Minuten in einem Glas Wasser vorquellen. Zusätzlich ist auf eine ausreichende Trinkflüssigkeitsmenge zu achten, denn Flohsamenschalen quellen bis auf das 40-fache ihres Ausgangsgewichtes. FODMAP-arme Kost Manche RDS-Patienten resorbieren kurzkettige, fermentierbare Kohlenhydrate unvollständig und entwickeln nach deren Verzehr abdominelle Symptome, zum Beispiel Meteorismen. Die weitestgehende Elimination dieser Kohlenhydrate („FODMAPs“ = „Fermentable oligosaccharids, disaccharids, monosaccharids and polyols“) führte in diversen Studien zu einer

klinischen Besserung, sodass diese Ernährungsform im Zusammenhang mit der RDS-Therapie zunehmend in das Interesse der Therapeuten gerückt ist. Allerdings existiert keine offizielle Definition für eine FODMAP-arme Kost, die eine standardisierte Kostplanung ermöglicht. Grundsätzlich geht es nach diesem Konzept darum, möglichst wenig fermentierbare Kohlenhydrate (insbesondere Fruktose, Zuckeralkohole und Inulin) zu verzehren. Auch resistente Stärke (unter anderem aus Brotkruste und aufgewärmte Speisen) sowie Vollkorngetreide (insbesondere Weizen) und Hülsenfrüchte werden in dieser Kostform weitestgehend eliminiert. Nach Magge und Lembo [12] sollen die Mengen fermentierbarer Kohlenhydrate unter folgenden Grenzen liegen: • 0,5 g mehr Fruktose als Glukose pro 100 g Lebensmittel, unabhängig vom Glukosegehalt. • 3 g Fruktose pro Mahlzeit und 0,2 g Fructan pro Mahlzeit. Die Autoren empfehlen eine 3-phasige Vorgehensweise. Phase 1 Sechs Wochen „Eliminationsphase“, möglichst wenig fermentierbare Kohlenhydrate essen.

Phase 2 Aufbauphase, das heißt der FODMAPGehalt wird schrittweise leicht gesteigert: einzelne Lebensmittel sollen unter Protokollführung getestet werden (Provokation), Lebensmittel mit „mittlerem FODMAP-Gehalt“ sollen ebenfalls versucht werden. Phase 3 Dauerkost, das heißt abwechslungsreiche Kost mit reduziertem FODMAP-Gehalt je nach individueller Verträglichkeit. Auf jeden Fall ist ein Monitoring durch eine Fachkraft erforderlich, um eine ausreichende Nährstoffversorgung zu gewährleisten. Die deutliche Reduktion fermentierbarer Kohlenhydrate induziert messbare Verschiebungen innerhalb des Mikrobioms. Neben einem Rückgang der Diversität sinken auch die Keimzahlen einiger protektiver Arten wie beispielsweise Akkermansia muciniphila und Faecalibacterium prausnitzii. Ihnen wird lebenswichtiges Substrat entzogen. Der Rückgang der Symptomatik erklärt sich mit der verminderten fermentativen Aktivität des veränderten Mikrobioms. Möglicherweise kann eine FODMAP-reduzierte individuelle, toleranzangepasste Maßnahme für 153 І 2016 VFEDaktuell

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eine begrenzte Zeit bei manchen Patienten zunächst Linderung bringen, ein nachhaltiger Effekt ist jedoch fraglich. Die vorliegenden Studiendaten geben darüber keine Auskunft, da die Untersuchungszeiträume oft sehr kurz bemessen sind (drei Wochen bis neun Monate) und die kleinen Patientenkollektive keine eindeutige Aussage erlauben. Möglicherweise ist die Malabsorption eine Folge der mucosalen Entzündungsprozesse in Verbindung mit einem Leaky Gut Syndrom. Oft erreicht man schon durch die Reduktion ausgewählter Lebensmittel wie Knoblauch und Zwiebel sowie die Limitierung von Brot eine deutliche Besserung des Befindens. Zum einen erfasst man damit einen nennenswerten Anteil an Fructanen, zum anderen verschont man den Darm offensichtlich mit bestimmten Getreidebestandteilen (Adenosin-Triphosphat-Amylase, ATI), die derzeit Gegenstand aktueller Diskussionen hinsichtlich ihrer entzündungsfördernden Eigenschaften sein könnten. Phytotherapeutika Unterstützend bei den Leitsymptomen Schmerz und Blähungen haben sich einige Phytotherapeutika bewährt. Auch ein guter Synergismus mit Probiotika wird beschrieben. Als Spasmolyticum sind zum Beispiel Pfefferminzöl und Kümmelöl, insbesondere als Kombination geeignet [3]. Probiotika In der Therapie gastroenterologischer Erkrankungen sind Probiotika zunehmend ein fester Bestandteil des Konzeptes. Probiotika sind Bakterienpräparationen, die Stämme der physiologischen Flora enthalten und nachweislich einen gesundheitsfördernden Effekt ausüben. So empfehlen nun auch die führenden Fachgesellschaften ihren Einsatz in der Therapie des RDS. Da die Bakterienstämme völlig unterschiedliche Stoffwechselaktivitäten und immunologische Eigenschaften aufweisen, richtet man sich mindestens beim Erwachsenen nach den vorliegenden Leitsymptomen. Die S3Leitlinie spricht anhand vorliegender Studiendaten differenzierte Empfehlungen für den Einsatz bestimmter Stämme bei den jeweiligen Leitsymptomen aus (siehe Tabelle 1).

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RRBild: www.pixabay.de RDS Schmerz/ Blähtyp

RDS Schmerztyp

RDS Obstipationstyp

Bifidobacterium infantis 35624

B

-

-

Bificobacterium animalis ssp lactis DN 173010

B

-

C

Lactobacillus casei shirota

B

-

B

Lactobacillus plantarum

C

-

-

Lactobacillus rhamnosus GG

-

B (Kinder)

-

Probiotika-Stamm

E. Coli Nissle 1917

-

-

C

Kombinationspräparate

-

C

-

RRTabelle 1: Evidenzgrade der Wirkung von Probiotika bei den Leitsymptomen des RDS (S-3-Leitlinie (2011)) Evidenzgrade: B: lässt Wirksamkeit erwarten, trotz methodischer Limitationen einzelner Studien aus Metaanalysen C: Abstufung aufgrund weniger Studien mit meist kleinen Fallzahlen: Kombinationspräparate können durchaus wirksam sein – es liegen nur noch nicht genügend Daten dazu vor. Es wurden nur die neuesten Studien berücksichtigt.

Beispielsweise hat sich Lactobacillus casei shirota bei Obstipation bereits bei einer täglichen Zufuhr nach zwei Wochen gut bewährt, wobei die Symptome Flatulenz und Blähungen nicht beeinflusst wurden. E. Coli Nissle zeigt eine deutliche Wirkung auf die Stuhlfrequenz und -konsistenz beim Obstipationstyp. Grundsätzlich zeigen Probiotika die beste Wirksamkeit bei postinfektiösem RDS. Der Markt bietet viele hochwertige Kombinationspräparate, die ebenfalls sehr wirksam sein können, auch wenn sie nicht namentlich in der Leitlinie genannt sind. Sie können probatorisch eingesetzt werden, insbesondere, wenn sie einen oder mehrere der empfohlenen Stämme enthalten. Sinnvoll ist es auch, verschie-

dene Präparate entsprechend der Leitsymptome anzuwenden. Dann empfiehlt es sich, ein Präparat morgens, das andere abends zu sich zu nehmen. Bei vorliegendem Stress haben sich ein Lactobacillus- und ein Bifidusstamm bewährt (Lactobacillus helveticus R0052, Bifidobacterium longum R0175). Die tägliche Zufuhr bewirkte bei 55 Probanden neben einer Linderung stressbedingter abdomineller Schmerzen eine Senkung des Cortisolspiegels im 24-h-Urin um 13,5 Prozent bereits nach 30 Tagen. So konnte die Stress-Hormon-Entzündungskaskade effizient unterbrochen werden [13, 14].

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Bei Kindern eignen sich Probiotika insbesondere bei postenteritischer Genese und einer prädominanten Diarrhoe. Ballaststoffe werden in der RDS-Therapie von Kindern nicht empfohlen. Fazit RDS ist multifaktoriell bedingt und muss individuell therapiert werden. Daher existiert keine einheitliche Ernährungsempfehlung. Insbesondere Stress und vorhergehende Infektionen sind bedeutsame Triggerfaktoren für die Entwicklung einer RDSSymptomatik. In Abhängigkeit von den Leitsymptomen können Präbiotika, eine vorübergehende „FODMAP“-arme Kost, Phytotherapeutika und Probiotika therapeutisch wirksam sein. Die individuelle Ernährungstherapie hat einen hohen Stellenwert im therapeutischen Konzept bei RDS. Nahrungsmittelunverträglichkeiten müssen zunächst ausgeschlossen beziehungsweise abgegrenzt werden. Eine persönliche Ernährungsberatung hat meist einen positiven Effekt, insbesondere bei subjektiven Unverträglichkeiten.

Verdauung gestört? Der Darm gereizt?

Dr. biol. hom. Diplom-Oecotrophologin Sabine Poschwatta-Rupp Gothaer Straße 17 35396 Gießen

RRLiteratur:

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