[ZIVILRECHT]
Das neue Darlehensrecht des ABGB Dieser Beitrag schließt an die drei ÖJZ-Artikel des Autors zum Verbraucherkreditgesetz (VKrG) an und bringt mit der Besprechung der Neuerungen im ABGBDarlehensrecht die Artikelserie zum Darlehens- und Kreditrechts-Änderungsgesetz (DaKRÄG) zum Abschluss. Während hier ein Überblick über das erneuerte allgemeine Darlehensrecht gegeben wird, untersucht Lukas im demnächst folgenden Beitrag einige Einzelfragen dieses novellierten Hauptstücks etwas eingehender.
A. Hinwendung zum ABGB-Darlehensrecht; Leitlinien; Gesetzwerdung 1. Der Zusammenfluss von Richtlinienumsetzung und Kodifikationsjubiläum 2. Die Grundüberlegungen zur Neugestaltung des Darlehensrechts 3. Konzeptionelle Modifikationen im Lauf der Gesetzwerdung B. Die neue Konzeption des Darlehensvertrags 1. Umschreibung des Vertragstyps (§ 983 ABGB) 2. Arten des Darlehensvertrags; Schriftformgebot für unentgeltlichen Vertrag ohne Übergabe (§ 984) 3. Einfluss von Wertveränderungen (§ 985) C. Ende des Darlehensvertrags 1. Verträge auf bestimmte und auf unbestimmte Zeit; regelhafte Beendigung (§ 986) 2. Außerordentliche Kündigung (§ 987) D. Der Kreditvertrag 1. Umschreibung des Vertragstyps (§ 988) 2. Ende des Kreditvertrags (§§ 989, 990) 3. Verweigerung der Kreditauszahlung (§ 991) E. Schlussbemerkung
A. Hinwendung zum ABGB-Darlehensrecht; Leitlinien; Gesetzwerdung 1. Der Zusammenfluss von Richtlinienumsetzung und Kodifikationsjubiläum a) Mit der Entscheidung für eine hauptsächlich zivilrechtliche Umsetzung der Verbraucherkreditrichtlinie1) geriet auch das 21. Hauptstück (des Zweiten Teils) des ABGB ins Blickfeld, zumal es ja galt, die zu konzipierenden Neuregelungen über den Verbraucherkredit auch in einen Bezug zum Normenbestand des allgemeinen Zivilrechts zu setzen oder diesen Bezug zumindest mitzudenken. Dabei fiel freilich sogleich ins Auge, dass dieses 21. Hauptstück2) großteils noch unverändert aus der Urfassung des ABGB stammte, dass das Darlehen darin noch nach dem antiquierten Konzept des Realkontrakts geregelt war und dass der Kreditvertrag trotz seiner enormen wirtschaftlichen Bedeutung weder im Darlehensrecht noch an anderer Stelle des ABGB überhaupt Erwähnung fand. Dafür enthielt dieses Kapitel etwa entbehrliche Regelungen über die Vereinbarung
§§ 983 – 991 ABGB Darlehensvertrag, Definition; Gelddarlehen, Sachdarlehen; Entgeltlichkeitsvermutung;
Von Johannes Stabentheiner
Inhaltsübersicht:
ÖJZ 2010/98
der Zahlung in einer besonderen Münzsorte oder über gesetzliche Münzveränderungen – in denen charmanterweise noch von Dukaten und Kreuzern die Rede war – oder über Form und Inhalt von Schuldscheinen, aber auch bloße Verweise auf „besondere Vorschriften“ oder die „Gerichtsordnung“. Etliche Paragraphen des 21. Hauptstücks wurden bereits im Jahr 18683) aufgehoben. All dies machte deutlich, dass eine Modernisierung des 21. Hauptstücks durchaus lohnend wäre. b) Zeitlich fiel das Gesetzesprojekt zur Umsetzung der Verbraucherkreditrichtlinie mit dem Näherrücken eines für das Zivilrecht bedeutenden Jubiläums zusammen, nämlich des zweihundertjährigen Bestehens des ABGB, das im November des Jahres 2011 gefeiert werden wird. Schon seit einigen Jahren setzten sich Vertreter der Rechtswissenschaft gemeinsam mit dem BMJ gedanklich mit diesem Jubiläum auseinander. Daraus erwuchs die Idee, diesen runden Geburtstag zum Anlass dafür zu nehmen, unter dem Schlagwort „ABGB 2011“ ein Projekt zur allmählichen Erneuerung und Modernisierung des österreichischen Zivilgesetzbuchs einzuleiten und voranzutreiben. Dazu wurden zunächst – gleichsam zur Befunderhebung und Stoffsammlung – zwei große rechtswissenschaftliche Symposien in Wien durchgeführt, aus denen sich wichtige Impulse für ein solches Vorhaben ergaben.4) Konkrete gesetzgeberische Aktivitäten waren aus diesen Überlegungen aber bis zum DaKRÄG nicht erflossen. Daher lag es nahe, im Zuge der Umsetzung der Verbraucherkreditrichtlinie durch eine grundlegende Novellierung des 21. Hauptstücks auch einen ersten legistischen Schritt auf dem langen Weg dieses Erneuerungsprojekts zu setzen, dies umso mehr, als auch von Seiten der Rechtswissenschaft den Regelungen über das Darlehen grundsätzliche Modernisierungsbedürftigkeit attestiert worden war.5) Ü 1) Vgl dazu Stabentheiner, Das Verbraucherkreditgesetz – EU-Vorgaben, Geltungsbereich, vorvertragliche Information, Bonitätsprüfung, Vertragsdokument, ÖJZ 2010, 531 (534). 2) Also die §§ 983 bis 1001 ABGB. 3) Durch § 6 des Gesetzes vom 14.6.1868, wodurch die gegen den Wucher bestehenden Gesetze aufgehoben werden, RGBl 1868/62. 4) Vgl zu diesen beiden Veranstaltungen die jeweils im Manz-Verlag erschienenen Tagungsbände, nämlich Fischer-Czermak/Hopf/ Schauer, Das ABGB auf dem Weg in das 3. Jahrtausend – Reformbedarf und Reform (2003) sowie Fischer-Czermak/Hopf/Kathrein/ Schauer, ABGB 2011 – Chancen und Möglichkeiten einer Zivilrechtsreform (2008). 5) Kathrein, Kodifikationsproblematik und -bedarf am Beispiel des Kreditvertrages, in Fischer-Czermak/Hopf/Schauer (Hrsg), Das ABGB auf dem Weg in das 3. Jahrtausend 171; Riedler, Modernisierungsbedarf des ABGB in den besonderen Bestimmungen über vertragliche Schuldverhältnisse! in Fischer-Czermak/Hopf/Kathrein/Schauer
Übereilungsschutz; Wertverlust; ordentliche und außerordentliche Kündigung; Kreditvertrag
ÖJZ
[Z I V I L R E C H T ] Vertragsinhalte weniger durchsetzungsfähig) eingeschätzten Vertragspartei zu etablieren. Diese schwächere Rolle kann beim Kreditvertrag jedenfalls im Regelfall durchaus dem Kreditnehmer zugeschrieben werden. Deshalb wurde erwogen, bei aller Treue zu den ehernen Grundsätzen des allgemeinen Zivilrechts, wie etwa der Vertragsfreiheit oder der prinzipiellen Äquidistanz des Gesetzgebers, dennoch in klar umgrenzten Einzelfragen Bestimmungen vorzusehen, die die Position des regelmäßig weniger einflussreichen Kreditnehmers stärken sollten. Dieser Regelungsansatz verdünnte sich allerdings im Verlauf der Gesetzwerdung zusehends: Während die ersten Entwürfe noch durchaus deutliche Akzente in Richtung eines allgemeinen Kreditnehmerschutzes setzten, blieb daraus letztlich nur die Regelung des § 990 ABGB über unwirksame Vereinbarungen über das Kündigungsrecht des Kreditgebers als einzige Gesetzesbestimmung übrig, der man einen zu Gunsten des Kreditnehmers sozusagen verbraucherschützerischen „touch“ attestieren kann. Im Einzelnen sei zu dieser Entwicklung auf den nachfolgenden Punkt verwiesen.
c) Man muss allerdings einräumen, dass dieser erste Schritt eine sehr überschaubare Dimension hat und vorerst einmal singulär dasteht. Doch werden ihm – im Sinn einer sukzessiven Modernisierungsarbeit – in absehbarer Zeit weitere Gesetzgebungsakte zur Erneuerung anderer Kapitel folgen. Immerhin hat sich auch die Politik zur allmählichen Neugestaltung des ABGB bekannt.6) Das darf andererseits den Blick darauf nicht verstellen, dass dieses Erneuerungsprojekt mit Sicherheit mehrere Legislaturperioden in Anspruch nehmen wird. Das hängt nicht nur mit dem Umfang der dabei zu bewältigenden Arbeiten, sonder auch damit zusammen, dass die für die Betreuung des Projekts zuständige Zivilrechtssektion des BMJ selbstverständlich immer wieder auch durch vordringliche anderweitige Regelungsanliegen in Anspruch genommen wird. Man darf also nicht ungeduldig werden, wenn auf diesem langen Weg bei jedem Einzelschritt immer nur beschränkte Strecken zurückgelegt werden können. Bei diesen Einzelschritten gilt es aber, hinsichtlich der Systematik, der Terminologie und der Regelungstechnik jeweils den größeren und langfristigen Plan vor Augen zu haben.
2. Die Grundüberlegungen zur Neugestaltung des Darlehensrechts Für die Arbeiten am ABGB-Teil des DaKRÄG wurden schon von Beginn an folgende Leitlinien zugrunde gelegt:7) Ü Der Darlehensvertrag sollte nicht mehr an dem als überholt empfundenen Konzept des Realkontrakts ausgerichtet sein, sondern entsprechend dem Regelungsdesign fast aller anderen Vertragsarten im österr Zivilrecht als Konsensualkontrakt entworfen werden. Ü Erstmals sollten im allgemeinen Zivilrecht auch Regelungen zum Kreditvertrag geschaffen werden, und zwar im Kontext des neuen Darlehensrechts. Dabei sollte allerdings der Kreditvertrag nur als eine Spielart des Darlehensvertrags definiert werden und nicht etwa – wie im Richtlinienrecht oder auch im BGB – umgekehrt der Kreditvertrag den Oberbegriff bilden und der Darlehensvertrag nur eine spezifische Erscheinungsform davon sein. Hier sollte es also beim traditionellen österr Begriffsverständnis bleiben. Ü Weiters sollte bei der Ausarbeitung der neuen Bestimmungen über den Darlehensvertrag schon der Versuch unternommen werden, damit gleichsam ein allgemein verwertbares Regelungssystem für Dauerschuldverhältnisse zu schaffen, die neuen Regelungen hier also so zu gestalten, dass sie später etwa bei der Erneuerung des Verwahrungsvertrags oder des Leihvertrags im Kern übernommen werden könnten. Ü Letztlich wurde bei der Vorbereitung des neuen Darlehensrechts auch überlegt, auch außerhalb des Unternehmer-Verbraucher-Verhältnisses (für das ja ein Ungleichgewicht typisiert zugrunde gelegt wird) zumindest in zarten Ansätzen ein gewisses Schutzregulativ zu Gunsten der tendenziell als schwächer (nämlich bei der Ausverhandlung der
3. Konzeptionelle Modifikationen im Lauf der Gesetzwerdung a) Für die Erneuerung des Normenbestands des
21. Hauptstücks lässt sich in der Tendenz eine ähnliche Entwicklung nachzeichnen wie für die sonstigen Inhalte des DaKRÄG:8) Bei Betrachtung der drei Phasen des Geschehens9) wurde der Gesetzesvorschlag hinsichtlich seiner ursprünglichen Akzentuierung in Richtung einer tendenziell größeren Schutzwürdigkeit des Kreditnehmers (auch außerhalb eines Unternehmer-Verbraucher-Verhältnisses) immer ausgewogener und positionierte sich letztlich doch nahezu äquidistant zu den beiden Vertragsteilen; von Eingriffen in die Privatautonomie durch zwingendes Recht wurde in der dann Gesetz gewordenen Fassung fast gänzlich Abstand genommen. Der erste Entwurf zum DaKRÄG hatte noch das jederzeit ausübbare Recht des Kreditnehmers auf vorzeitige Kreditrückzahlung bereits im ABGB vorgesehen, weiters eine zwingende Gesetzesregelung, durch die dem Kreditgeber eine vorzeitige Kündigungsmöglichkeit nur in einem konkret umschriebenen Verzugsfall zugestanden werden sollte, und schließlich eine Verpflichtung des Kreditgebers zur Bonitätsprüfung auch außerhalb von Unternehmer-Verbraucher-Verhältnis-
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(Hrsg) ABGB 2011 – Chancen und Möglichkeiten einer Zivilrechtsreform, 73; Riedler, Reformbedarf bei Schenkungs-, Verwahrungs-, Leih- und Darlehensvertrag? ÖJZ 2008, 624. Schon im Regierungsprogramm für die gegenwärtige Gesetzgebungsperiode wird die abschnittsweise Überarbeitung des ABGB aus Anlass seines 200-jährigen Bestehens angekündigt. Und jüngst wurde das Projekt „ABGB 2011“ durch einen Ministervortrag neuerlich auf eine politische Ebene gehoben. Vgl zum Folgenden Stabentheiner/Dimmel, Die Umsetzung der neuen Verbraucherkreditrichtlinie in Österreich, ÖBA 2009, 696 (698, 699 ff); RV 650 BlgNR 24. GP 6 und 7. Vgl etwa zur Genese der Bestimmung über die Bonitätsprüfung Stabentheiner, ÖJZ 2010, 531 (539 ff). Nämlich: Vorentwurf – MEntw – RV. Hinsichtlich der in Art 1 des DaKRÄG vorgesehenen Änderungen des ABGB gab es zwischen RV und der Beschlussfassung im NR keine Änderungen mehr (dies im Gegensatz zu anderen Teilen des Gesetzes).